Mitunter sind Trainer Grenzgänger. Wie auch derzeit Gerardo Seoane. Zum einen gilt gerade in der Fußball-Bundesliga und somit auch bei Borussia Mönchengladbach das Leistungsprinzip. Doch kann ein Fußballlehrer, anders als viele meinen, eben nicht einfach die besten elf Profis aufstellen. Das würde sie noch nicht zu einer Mannschaft machen. Dazu bedarf es eines nicht per se greifbaren Kitts, der einschließt, dass im Vergleich mit Konkurrenten ein Spieler schlechter, aber im Gefüge dennoch wichtiger ist oder eben Dinge aufweist, die ihm beim Puzzlespiel hinzu einer Erfolgsgemeinschaft einen Vorteil bringen.
Seoane steckt in so einer Situation. Trotz des 2:0 über St. Pauli am vergangenen Sonntag haben ihm einige Spieler Argumente geliefert, nicht unbedingt am Samstag beim SC Freiburg (15.30 Uhr) gesetzt zu sein. Dennoch wird sich der Schweizer Coach hüten, zu stark in das Ensemble einzugreifen, dass in der Liga seit fünf Spieltagen unbesiegt ist, erst recht nicht in einer Partie tief im Schwarzwald, wo Gladbach seit 17 Jahren nicht mehr gewonnen hat. Der bislang letzte Auswärtssieg in der Bundesliga ist sogar noch länger her: Vor 22 Jahren, am 23. März 2002, gelang ein 1:0-Erfolg durch ein Tor von Arie van Lent.
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Bestens aufdröseln lässt sich so eine Gratwanderung am Beispiel von Alassane Pléa. Gegen den Kiezclub erzielte er zwar – mit dem Knie – ein Tor, ansonsten aber war das Spiel des besten Fußballers im Borussen-Team von falschen Entscheidungen und (zu) vielen Ungenauigkeiten geprägt.
Der größte Konkurrent des Franzosen ist Kevin Stöger. Bis zum 7. Spieltag stand der österreichische Nationalspieler immer in der Startelf, zumeist neben Pléa. Er profitierte dabei auch vom Fitnessrückstand Robin Hacks. Mittlerweile hat sich Gladbachs Linksaußen wieder in die Stammelf zurückgekämpft und verdrängt Linksfuß Stöger ins mannschaftsinterne Duell mit Pléa.
Neben dessen fußballerischen Verdiensten konnte der Franzose bis zum anstehenden 12. Spieltag damit punkten, Teil des Erfolgsteams zu sein, das sich nach dem 1:2 in Augsburg gefunden und entwickelt hat.
„Wir machen es momentan als Mannschaft gut, und natürlich wächst mit jedem Spiel ohne Niederlage auch unser Selbstvertrauen“, erklärt Pléa diesen Weg und indirekt seinen Vorsprung. „Wir sind sehr solidarisch, jeder kämpft für den anderen.“ Doch Leistungen wie gegen St. Pauli fressen den Stammspielerbonus auf. Und besonders stark knabberte der individuelle Leistungsabfall eben am 31-Jährigen. Vertrauen in ein mittlerweile eingespieltes Team – doch ein Trainer darf auch nicht unglaubwürdig gegenüber den Bankspielern werden, speziell wenn diese zuvor fester Bestandteil der Mannschaft waren.
Wir machen es momentan als Mannschaft gut, und natürlich wächst mit jedem Spiel ohne Niederlage auch unser Selbstvertrauen.
Alassane Pléa,
Gladbacher Mittelfeldspieler
„Ich habe das Gefühl, dass in der Mannschaft ein Teamgedanke stattfindet, dass es intelligente Spieler sind, die ihr Ego in gewissen Situationen sicherlich zulassen, es aber generell in den Hintergrund stellen“, erklärt Seoane. „Denn das Allerwichtigste ist der Erfolg der Borussia und nicht die Einzelschicksale.“
Nun, das österreichische Einzelschicksal erleichtert ihm bisher seine Entscheidung, weil Stöger als Einwechselspieler, häufig für Pléa, nicht unbedingt zu glänzen pflegt. Dem Ex-Bochumer ist anzumerken, wie der Statusverlust an seinem Selbstvertrauen nagt. Und gerade bei seiner Spielweise benötigt er dies als Grundlage: überraschende Lösungen, kluge Langpässe, Distanzschüsse, trickreiche Zweikampfführung – Stöger versucht in der Kürze der ihm gewährten Zeit in diese Qualitäten zurückzukommen, und verkrampft dabei. Kontraproduktiv bei einer Qualität, die stark vom Instinkt abhängig ist.
Pléa hat sich zudem einen weiteren Vorsprung erarbeitet: Sein Zusammenspiel mit Gladbachs neuer Galionsfigur, Tim Kleindienst, funktioniert reibungsloser als die Kombination Mittelstürmer mit dem Österreicher an seiner Seite oder im Rücken. „Wenn Tim so weitermacht, kann er eine richtig großartige Saison spielen – und davon profitieren alle“, betonte Pléa nach dem Erfolg über St. Pauli. „Er war von Anfang an ein Leader, der seinen Worten auf dem Platz Taten folgen lässt.“
Von dieser Erfolgsgeschichte profitiert aber nicht nur Gladbachs neuer Torjäger, nicht nur die gesamte Mannschaft, sondern auch Pléa. Seoane wird Kleindiensts fußballerische Zweierbeziehung mit dem Edeltechniker nicht unbedacht gefährden wollen. „Es ist wichtig, dass du eine gewisse Stabilität hast, weil sich Abläufe einspielen müssen. Die Jungs, die wieder ins Team wollen, müssen wieder etwas anbieten. Das ist ein gesunder Konkurrenzkampf.“
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Der auch vor Nico Elvedi nicht Halt macht. Im Breisgau wird der Schweizer Nationalverteidiger erneut erst mal die Bank drücken müssen, Marvin Friedrich hat gegen St. Pauli seinen Bonus als Teil der Erfolgsgemeinschaft ausgebaut. Als Gladbachs Herr der Lüfte besitzt er gegen den Sportclub ein zusätzliches Argument auf einen Startplatz. Freiburgs Stürmer Junior Adamu ist rotgesperrt, als Ersatz ist eher Michael Gregoritsch anstatt Alternativlösung Lucas Höler wahrscheinlich. „Gregerl ist einer, der in dieser Woche eine gute Quote hatte, gute Abschlüsse. Das ist seine absolute Qualität, deshalb kann er für das Wochenende eine Option sein“, erklärte SC-Coach Julian Schuster. Mit der Kurzbeschreibung „abschlussstark, kopfballstark, aber langsam“, scheint der österreichische Sturmriese wie gemalt für Gladbachs Krisengewinner Marvin Friedrich.
Beim angestrebten Sieg in Freiburg dürfte in Kleindienst ein weiterer Mann mit Gardemaß eine große Rolle spielen. SC-Trainer Schuster hat einst mit dem Neugladbacher für Freiburg gespielt (2015/16). An den 19-jährigen Stürmer erinnert sich der ehemalige Abwehrspieler gut: „Eine schöne gemeinsame Zeit“, sagte Schuster vor dem Gastspiel der Gladbacher. „Schon damals war erkennbar, dass er die Voraussetzungen mitbringt: Körper, Schnelligkeit und Wucht – und auch damals schon einen guten Abschluss.“ Momentan sei der Neunationalstürmer „wahrscheinlich im größten Flow überhaupt“. Kleindienst-Flow gegen Freiburger Heimbilanzgeschichte: „Wir freuen uns einerseits für ihn, aber werden alles dafür tun, seinen Lauf am Wochenende zu stoppen.“
Der Kampf gegen Kleindiensts Tor Nummer acht oder mehr. Womöglich aber bietet die SC-Fokussierung auf den Stoßstürmer eine Chance für dessen bisweilen bzw. potenziell kongenialen Partner. Alassane Pléa hat mit dem 1:0 gegen St. Pauli seinen 50. Bundesligatreffer erzielt. Zudem hat sich sein Vertrag in Gladbach durch seinen Auftritt automatisch um ein Jahr bis 2026 verlängert. Aber natürlich ist der Routinier auch ein Schüler Seoanes. Und so versichert er vorbildlich: „Meine persönliche Statistik ist für mich zweitrangig.“ 50 Bundesliga-Tore, drei in dieser Saison – Nummer 51 bzw. vier dürfte aber auch dem Kleindienst-Partner durchaus entgegenkommen.
Voraussichtliche Aufstellung: Nicolas – Scally, Friedrich, Itakura, Ullrich – Reitz, Weigl – Honorat, Pléa, Hack – Kleindienst